Am Beispiel des Lebens von Larissa, genannt Lala, zeigt diekleinefraubraun, wie schwierig die Begriffe Heimat und Herkunft zu definieren sind, und daß unser augenblicklicher Diskurs über Identität und Migration keineswegs neu ist.
Die Familie meiner Heldin Lala stammte aus Bialystok. Ihre Mutter war Deutsche, ihr Vater Russe. Sie wurde 1917 als russische Staatsbürgerin in St. Petersburg geboren. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ging die Familie zurück nach Bialystok. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Bialystok 60% Juden, 20% Polen, 10% Russen, 10% Deutsche. Alle hatten nun die polnische Staatsbürgerschaft.
Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen 1939, heiratete Lala sofort ihren ebenfalls aus Bialystok stammenden Freund Waldemar, dessen Eltern russischer Herkunft waren. Aus Angst vor Repressalien flüchtete Lala mit ihrem Mann und ihrer Mutter in Richtung Westen, bevor die Deutschen Bialystok von Westen her, und die Russen die Stadt von Osten her erreichten. Zwischen 1939 und 1945 war Lala auf der Flucht, in den ersten zwei Jahren noch untergebracht in sog. Volksdeutschen Lagern, danach wo sich je ein Platz zumSchlafen fand. Auf der Fluch kam 1941 ihr Sohn Viktor zur Welt,1944 ihre Tochter Eva. 1945 wurden sie, ihr Mann, ihre Mutter und die beiden Kinder in Rothenburg ob der Tauber von den Behörden bei einer Bauernfamilie eingewiesen. Lala lebte fast ihr ganzes restliches Leben in Rothenburg. Sie starb als deutsche Staatsbürgerin.
WER WIR SIND zeichnet dieses Leben anhand von Fotografien nach. Zu diesen Fotos erzähle ich Geschichten aus Lalas Leben. Sie zeigen Lala und ihre Liebenals sie selbst, nicht als politische und staatsbürgerliche Subjekte.Diese Fotos werden mitverschiedenfarbigen Fäden übersponnen, die die Personen in einem Stammbaum verbinden, ihreStaatsangehörigkeit markieren und ihre ethnische (was immer das heißen mag) und sprachliche Herkunft.